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Gunda Scheel

 

In der Fotowelt von heute geben Bits und Bytes, Mega-Pixel und Chips längst den Ton an. Dass nach 12, 24 oder 36 Aufnahmen der Film voll war, ist kaum noch vorstellbar. Aber dennoch gibt es Fotografen, für die die analoge Fototechnik nichts von ihren Reizen verloren hat. Zu diesen zählt zweifelsohne Gunda Scheel. Sie wurde 1940 in Düsseldorf geboren. [Vielleicht haben sie ja nachgerechnet - es stimmt - hier handelt es sich um eine Geburtstagsausstellung der besonderen Art] Nach dem Abitur studierte sie von 1959 bis 1961 an der Werkkunstschule Krefeld bei den Professoren Gerhard Kadow und Rolf Sackenheim, von 1961 bis 1963 an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei Gerhard Hoehme und Walter Breker. Im Jahr 1962 liegt der Beginn, wo Gunda Scheel sich der künstlerischen Fotografie widmet. In diesem Jahr kauft sie sich für 360,- DM eine alte Rollei und nutzt die Dunkelkammer der Kunstakademie zum Experimentieren. Erst rund zwanzig Jahre später, 1981, trat sie mit ihren fotografischen Arbeiten erstmals an die Öffentlichkeit. Gegen die heutige Flut von Bildern, insbesondere der fotografischen Exzesse bis hin zu sogenannten „selfies“, bezieht Gunda Scheel klare Positionen, was unverzichtbar erscheint, will man sich künstlerisch mit diesem Medium auseinandersetzen. Die Fotografin gehört nicht zu den besessenen Künstlern, die stets und überall auf Motivsuche sind, vielmehr [Zitat] „findet sie etwas vor“, wie sie sagt, schaltet sie ihren Blick auf einen schwarz-weiß-Modus um, baut sich innerlich „wie ein Architekt“ Vorder- und Hintergrund auf, bis eine grafische Lösung entsteht, stellt die Kamera scharf und löst aus. Sie arbeitet heute mit der schwedischen Hasselblad, einer einäugigen Spiegelreflexkamera für große Negativformate, deren Platte stets im quadratischen Format 39 x 39 cm die Rahmenbedingungen auch für ihre künstlerische Arbeit bildet. Für Gunda Scheel stellt die Farbfotografe eine zu absolute Veränderung der Wirklichkeit dar, während hingegen die Schwarz-Weiß-Fotografe aus ihrer Sicht mehr Authentizität besitzt. Gunda Scheel macht immer nur ein einziges Foto ihrer Motive, und dies wird weder beschnitten, noch sonst irgendwie bearbeitet. Sie sei ja keine Impressionistin, wie sie sagt, sondern eher eine Komponistin, eine Bildermacherin, die anhand ihrer Erfahrung des Sehens das imaginäre Bild bereits vor Augen hat ehe der Abzug auf satiniertem Barytpapier zur Realität wird. Ihr Weg zum Bild führt stets über das bedingungslose Eintauchen in das Wesen eines Motivs. Dabei erscheinen ihre Fotos manchmal wie Bilderrätsel, die das Auge des Betrachters ergründen will. Gegenstände werden in ihrem jeweiligen Schattenwurf rekonstruierbar – man sucht die Wirklichkeit im Widerschein von Licht und Schatten. Oftmals bieten die Arbeiten eine beeindruckende Feinstruktur und Stofflichkeit der Oberflächen in Tiefenschärfe und Detailauflösung. Der Schauende spürt dem nach und erahnt vielleicht, wie schonungslos und radikal die Fotografn das Sichtbare durchdringt, um zu dem zu gelangen, was für sie – im Sinne des künstlerischen Aspekts - die Wahrheit ist. Die Bauhaus-Fotografn Lucia Moholy hat dazu einmal in einer Rundfunksendung 1958 folgendes geäußert: [Zitat] „A priori ist Photographie ebensowenig Kunst wie andere Techniken auch: jemand der malt, zeichnet, radiert – oder photographiert, braucht deswegen noch lange kein Künstler zu sein. Nicht Technik und Werkzeug bestimmen, was Kunst ist, sondern der Mensch, wenn er die Gabe hat, damit Kunst zu schaffen.“ - Diese Gabe besitzt Gunda Scheel. Über Normen, Regeln, gar Vorschriften hinaus, die anderen Bildkünsten entlehnt werden, gibt es einen entscheidenden Kern als Kriterium. Dies ist das Verhältnis von Realität und Bild. An den Fotografen von Gunda Scheel kann man sehr schön ablesen, daß ein abgebildetes Objekt nicht nur als die eigentliche Realität begriffen wird, vielmehr die Fotografie sozusagen als deren optischer Übermittler angesprochen werden kann. Erst dann, wenn ein Bild zu einer eigenen neuen Realität wird, eine eigene Wirklichkeit erfährt, die als solche etwas mitzuteilen hat, besteht die Voraussetzung zum Kunstwerk. Für diesen Transformationsprozeß entnimmt Gunda Scheel ihre Motive entsprechend dem Alltag. Sie zeigen Landschaften, Tiere, Menschen, Architektur, Schattenwürfe in feinsinniger, subtiler Umsetzung. Zum Teil sind die Motive von großer Einfachheit. Nicht immer ist ein unmittelbares Erfassen des Dargestellten vor unserem Auge, und das sich Einlassen auf das Bild, das suchende Hineinziehen macht Gunda Scheels Fotografen zu besonderen Arbeiten. Es entwickelt sich eine geheimnisvolle Poesie des Alltäglichen. Man spürt eine Art ausgeliehene Bedeutung des ursprünglich Abgelichteten, wobei zuweilen die Bilddichte zu einer neu zu definierenden Spannung für den Betrachter führen kann. Es sind intellektuelle und genauso emotionale Mitteilungen der Fotografin. Man ist gefordert – Künstlerin wie Kunstschauender im Sinne von Abstraktion und Einfühlung. Gunda Scheel schöpft die Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums Fotografie voll aus. Die Kamera wird von ihr ohne jede Konvention oftmals kühn eingesetzt. Nahe herangeführt zu stärkster Aussage, auch schräggestellt, um in der Diagonale zu fesselnder Bildform zu finden. Gelegentlich wird auch die Unteransicht gewählt. Doch nie wird nach einem Schema gearbeitet. Sie erfaßt die Wirklichkeit und bewältigt sie gleichzeitig damit in ihrer künstlerischen und zum Teil analytischen Umdeutung. Der Augenblick reizt die Sensibilität. So wie ein Mensch nur sehen kann, was bereits in ihm ist, kann er auch fotografisch nur das aufnehmen, was er vorher sieht. Er kann daher sehr wohl den subjektiv gegebenen geistigen Inhalt in die objektive Welt setzen und Gedankliches durch die strukturelle Einheit des Bildes vergegenständlichen. Der künstlerische Extrakt dieses Arbeitens mit gebanntem Licht ist die eigentliche Botschaft an den Betrachter. Bei Schattenwirkungen etwa eines Baumes, eines Geländers oder eines Mauervorsprungs, die in schwarz getauchten Rauten- und Winkelformen, Verästelungen, die wie grafisch aufgebaut erscheinen, die für den Betrachter an Eigenleben gewinnen. Der Schatten erscheint mitunter wirklicher als sein eigentlicher Gegenstand. In der durchschatteten Dinglichkeit der abgelichteten Realität verbirgt sich zuweilen eine Art Vexierbild, kann der Betrachter nicht ad hoc das Sujet von seiner „Replik“ trennen. Gunda Scheel sind es die kontrastreichen schwarz-weißen Im gewachsenen und gebauten Umfeld des Menschen verstecken sich oft grafische Strukturen, die für die Lichtbildnerin Gunda Scheel eine immense Faszination bedeuten. Kennt man die künstlerischen Wurzeln der Fotografin, mag das nicht weiter verwundern. Denn an der Werkkunstschule Krefeld lernt sie zu Beginn der 60er Jahre zunächst die grafischen Künste kennen, fertigt sie Radierungen an. An der Kunstakademie Düsseldorf folgt dann das weite Feld der Gebrauchsgrafik. Bei den Arbeiten von Gunda Scheel entsteht erst in der Summe ihrer fotografischen Bilder ein einigermaßen verläßliches Bild der Welt, aus der Montage der vielfältigsten Aspekte, die sie anschaulich machen, obwohl jedes Bild für sich eine eigene, tiefer liegende Ästhetik beibehält. Dazu schreibt 1928 der Wegbereiter neuer Lichtvisionen, László Moholy-Nagy: [Zitat] „Um den Menschen zu einem neuen Sehen zu erziehen, muß man alltägliche, ihm wohlbekannte Objekte von völlig unerwarteten Situationen zeigen; neue Objekte sollen von verschiedenen Seiten aus aufgenommen werden, um eine vollständige Vorstellung vom Objekt zu geben.“ Die Künstlerin sagt selbst, daß das Fotografieren eine schwere Sache sei, und begründet dies zurecht mit dem Argument, daß einfach immer zuviel da ist. In der Zeichnung kann man etwas, was einen stört, weglassen. Anders beim Arbeiten im Sucher einer Kamera. Ihr Arbeitsprinzip besteht darin, solange zu warten, bis es einmal so weit ist, daß sie durch kein unnötiges „Blendwerk“ mehr in ihrer Lichtbildnerei gestört wird und die grafische Kraft der Fotoarbeit – die verborgene Aura – stimmt. Im Nebensächlichen, den Erscheinungen am Rande, die meist von uns kaum wahrgenommen werden, entdeckt Gunda Scheel Typisches. Aus diesen Beiläufigkeiten destilliert sie ihre subjektive Sicht, ohne jedoch ins Erzählerische abzugleiten. Das kann getrost dem Betrachter überlassen werden. Und wie bereits erwähnt, kommt das Sehen vor dem Sprechen! - Also sprechen wir nicht mehr und sehen! 

Michael Wessing

 

Ausstellungen:

05.09.2015 bis zum 30.10.2015

Zusammen mit: Juliane Backmann

Gunda Scheel · »Münster 1990«